{"id":118,"date":"2013-12-14T23:00:00","date_gmt":"2013-12-14T22:00:00","guid":{"rendered":"http:\/\/buergerliste-schierling.de\/3\/2013\/12\/14\/willy-brand\/"},"modified":"2019-07-24T01:10:16","modified_gmt":"2019-07-23T23:10:16","slug":"willy-brand","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/buergerliste-schierling.de\/2013\/12\/14\/willy-brand\/","title":{"rendered":"Zum 100. Geburtstag von Willy Brandt"},"content":{"rendered":"
Erinnerungen an eine aufrechte Pers\u00f6nlichkeit von Rudi Eisenhut<\/p>\n\n\n\n
Erstmals nahm ich Willy Brandt als 8-j\u00e4hriger Sch\u00fcler am 13. August 1961 wahr. Ich war in den Sommerferien bei meinem gro\u00dfen Bruder in Leverkusen, wo die Bayern damals bei Bayer Arbeit fanden. Dieses Datum ist in meiner Generation tief verwurzelt: der Tag des Mauerbaus. Ich konnte damals die Aufregung der Erwachsenen, die den Krieg ja noch bewusst erlebten, nicht ganz verstehen, aber wir Kinder sp\u00fcrten die Trauer, die Wut und auch die Angst der \u00c4lteren. Willy war damals Regierender B\u00fcrgermeister der geknechteten und nun geteilten Hautstadt. Er unterbrach den damaligen Bundeswahlkampf und versuchte zu retten was zu retten m\u00f6glich war. Kanzler Adenauer kam erst nach einer Woche nach Berlin, wof\u00fcr die CDU bei den Wahlen bestraft wurde und Brandt 4,4 % hinzugewann. Doch es reichte f\u00fcr eine Regierung\u00a0noch nicht. Bereits im Wahlkampf diffamierten Adenauer in Regensburg und Franz-Josef Strau\u00df bei jeder Gelegenheit \u201eBrand alias Fram\u201c als Vaterlandsverr\u00e4ter, weil dieser von den Nazis geflohen war und in\u00a0Norwegen f\u00fcr die verbotene SPD im Untergrund k\u00e4mpfte. Sogar seine uneheliche Geburt wurde ihm von der CDU\/CSU vorgeworfen. Allen voran hetzten die Katholischen Bl\u00e4tter. Der sehr sensible Brandt litt enorm unter diesen Anfeindungen. <\/p>\n\n\n\n
Als am 23. Juni 63 der fast abg\u00f6ttisch geliebte John F. Kennedy nach Berlin kam, durfte Brandt bei der Stadtrundfahrt im offenen Cabriolet \u00a0in der Mitte stehen, Adenauer wurde diese Gunst von den Amerikanern verwehrt. Unvergessen sind bis heute Kennedys Worte: \u201eIch bin ein Berliner\u201c. Ganz Deutschland setzte riesige Hoffnungen in den jungen Pr\u00e4sidenten, der jedoch den Status Quo der Superm\u00e4chte wegen Berlin nicht \u00e4ndern wollte. Ich erinnere mich noch sehr gut an Willys Worte, dass irgendwann das Brandenburger Tor nicht mehr an der Grenze stehen w\u00fcrde. Obwohl keiner mehr daran glaubte, auch ich nicht, trat diese Hoffnung doch noch ein und es war ein Geschenk der Geschichte, dass Brandt es noch erleben durfte, wie seine Stadt, f\u00fcr die er mehr tat als jeder \u00a0andere, 1989 wieder vereint wurde.<\/p>\n\n\n\n
Obwohl seine Beliebtheit rasch anstieg, reichte es zu seiner Verbitterung und meiner Entt\u00e4uschung im Bundeswahlkampf 1965 wieder nicht f\u00fcr ihn und die SPD. Es war dann f\u00fcr ihn (und f\u00fcr mich und viele Sozis) \u00e4u\u00dferst makaber, dass er 1967 ausgerechnet mit dem alten Nazi Kiesinger eine gro\u00dfe Koalition als Vizekanzler eingehen musste. Die alte Regierung hatte abgewirtschaftet und es gab trotz Ludwig Erhard eine tiefe Rezension. Es war das erste Mal, dass die SPD den Karren aus dem Dreck zog und letztlich nicht belohnt wurde. Aber als bei den Wahlen 1969 die CDU und die FDP erheblich verloren (damals gab es nur drei Parteien), putschte Brandt noch in der Wahlnacht gegen Wehner und Helmut Schmid und vereinbarte um Mitternacht mit Walter Scheel (FDP) die Sozial-liberale Koalition. Die Koalitionsverhandlung zwischen den beiden dauerte Minuten, heute brauchen die Parteien drei Monate zur GroKo. \u201eDas war Charisma, das war F\u00fchrungskraft\u201c, erinnerte sich Egon Bahr, ein guter Freund aus Berliner Tagen und sein langj\u00e4hriger Berater. <\/p>\n\n\n\n
Ich erwartete nach 20 Jahren konservativer Nachkriegspolitik eine klare Richtungs\u00e4nderung, was dann kam war wesentlich mehr. \u201eWir wollen mehr Demokratie wagen\u201c war jetzt das Motto. \u201eWir sind keine Auserw\u00e4hlten sondern gew\u00e4hlte\u201c, waren neue T\u00f6ne in der Bonner Republik. Er suchte das Gespr\u00e4ch mit den \u00f6stlichen Nachbarn, am wichtigsten war ihm die Verst\u00e4ndigung mit der UdSSR, die alles im Osten beherrschte. Eine Wiedervereinigung ohne Russen war reinste Utopie. Die CDU\/CSU mit Barzel und Strau\u00df sch\u00e4umte und holte die alten Diffamierungen wieder raus, erg\u00e4nzt mit seinen \u201eFrauengeschichten\u201c. Die westlichen M\u00e4chte lie\u00dfen Brand jedoch gew\u00e4hren und unterst\u00fctzen ihn sogar, was mich nicht wunderte, denn eine entspannte Region in Mitteleuropa stabilisiert den Frieden. Seine Ann\u00e4herung an den Osten, die \u201ePolitik der kleinen Schritte\u201c, war riskant aber letztendlich der Grundstein f\u00fcr die Wiedervereinigung. Seine Ostpolitik schuf bei unseren Nachbarn das Vertrauen, auf dem alle nachfolgenden Regierungen aufbauen konnten. Wenn jemand behauptet Helmut Kohl sei der Wiedervereinigungskanzler, so ist das Geschichtf\u00e4lschung. Kohl war gerade Kanzler auf Staatsbesuch in Polen als die Mauer fiel, mehr nicht. Sein Verdienst besteht darin, die 4+2 Verhandlungen mit den Siegerm\u00e4chten ordentlich gef\u00fchrt zu haben.<\/p>\n\n\n\n
Es war trotzdem f\u00fcr alle Menschen, ob deutsch oder nicht, ein unglaublicher Vorgang, als Brandt in Warschau vor einem Denkmal an den 2. Weltkrieg spontan auf die Knie ging. Hier entschuldigte sich ein deutscher Kanzler f\u00fcr die Gr\u00e4uel des Nationalsozialismus bei den Opfern. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, was viele Menschen r\u00fchrte, erzeugte bei der Opposition Wutausbr\u00fcche. \u00dcberhaupt gab es gegen keinen f\u00fchrenden Politiker jemals so ein infames Treiben wie gegen Willy Brandt, andererseits hat niemals wieder ein Politiker einen derma\u00dfen riesigen Zuspruch erlebt. Dass er 1971 den Friedensnobelpreis erhielt war \u00fcberraschend, aber selten hat jemand diese Auszeichnung so verdient wie er. Bei der Bundestagswahl 1972, die er durch eine verlorene Vertrauensfrage gegen sich selbst erzwang (ein Trick, den Helmut Kohl sp\u00e4ter auch anwendete), stellte sich eine riesige Schar von Intellektuellen, K\u00fcnstlern und Prominenten vor und hinter ihn. Damals erreichte er den h\u00f6chsten Sieg der SPD mit unglaublichen 45,8%. Es war auch eine Best\u00e4tigung seiner Ostvertr\u00e4ge. Ich bediente zu der Zeit in meiner Heimatstadt Regensburg neben meiner Lehre in einer Studentenkneipe (ich war immer Pleite) und war deshalb voll im Geschehen der 68er-Bewegung. Wie alle jungen Leute war ich politisch positioniert und f\u00fcr jede Diskussion bereit. Das Motto jener Zeit lautete: \u201eWer zweimal mit der Selben pennt, geh\u00f6rt schon zum Establishment\u201c. Zumindest dieser Vorsatz hat sich wieder relativiert. Willy Brandt gab uns viel Hoffnung auf eine bessere Zukunft, weg von den alten Z\u00f6pfen\u00a0<\/p>\n\n\n\n
Auf dem H\u00f6hepunkt seiner Beliebtheit und obwohl er seine Reformen noch nicht alle beendet hatte, st\u00fcrzte ihn ein DDR-Spion. Ausgerechnet das Land, das durch die Ostpolitik am meisten profitiert hatte, war f\u00fcr seinen R\u00fccktritt verantwortlich. Ich bin immer noch der Meinung, dass sein R\u00fccktritt falsch war, denn der deutsche Geheimdienst hatte (wie man heute wei\u00df) total versagt. Aber zum einen war er tief entt\u00e4uscht und hatte zuweilen Depressionen, zum anderen dr\u00e4ngte ihn der alte Zuchtmeister der SPD, Herbert Wehner zum R\u00fccktritt. \u201eDer Herr badet gerne lau\u201c, plapperte Wehner im Kreml, w\u00e4hrend Willy in Washington war. Das verzeih ich dem gro\u00dfen Redner und K\u00e4rrner der SPD heute noch nicht. Mit dem R\u00fccktritt Brandts kam Helmut Schmid, den ich damals nicht \u00fcber den Weg traute. Mittlerweile ist er zur letzten moralischen Instanz in diesem Universum geworden. <\/p>\n\n\n\n
Einige Zeit h\u00f6rte man nichts mehr von \u00a0Brandt. Er zog sich etwas zur\u00fcck bis man ihn auf die internationale B\u00fchne holte. Er war ma\u00dfgebend f\u00fcr den Nord-S\u00fcd-Dialog zust\u00e4ndig. In Erinnerung bleibt auch, wie er im Jahre 1990\u00a0ca.194 Gei\u00dfeln aus der Hand des wahnsinnigen Saddam Hussein nach Deutschland holte. <\/p>\n\n\n\n
Als im Oktober 1978 Martin Auer, der langj\u00e4hrige SPD-Vorstand, Brandt spontan nach Schierling holte, sprach dieser auf den Kirchentreppen zu den B\u00fcrgern. Das offizielle Schierling freilich ignorierte den Ex-Kanzler und Nobelpreistr\u00e4ger. Wie mir zwei Augenzeugen unabh\u00e4ngig erz\u00e4hlten, fuhren jedoch \u201ezuf\u00e4llig\u201c ununterbrochen Odelf\u00e4sser vor dem Redner auf und ab. Ich kam 1972 nach Unterdeggenbach und wei\u00df noch, wie mit \u201eSozis\u201c umgegangen wurde und heute hat man als \u201eRoter\u201c immer noch einen schweren Stand.<\/p>\n\n\n\n
Meine sch\u00f6nste Erinnerung bleibt, wie Willy Brand einen Tag nach dem Mauerfall in Berlin seinen B\u00fcrgern sagen konnte, \u201ees w\u00e4chst zusammen was zusammen geh\u00f6rt\u201c. Er hatte die Grundlagen daf\u00fcr geschaffen, dass nun Ost- und Westdeutsche gemeinsam in Frieden und Freiheit in einem geeinten Deutschland leben k\u00f6nnen. Er hat mich und viele meiner Generation f\u00fcr eine an den Menschen orientierte Politik mobilisiert, f\u00fcr soziale Gerechtigkeit und Solidarit\u00e4t. Daf\u00fcr danke ich ihm.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"
Erinnerungen an eine aufrechte Pers\u00f6nlichkeit von Rudi Eisenhut Erstmals nahm ich Willy Brandt als 8-j\u00e4hriger Sch\u00fcler am 13. August 1961 wahr. Ich war in den Sommerferien bei meinem gro\u00dfen Bruder in Leverkusen, wo die Bayern damals bei Bayer Arbeit fanden. Dieses Datum ist in meiner Generation tief verwurzelt: der Tag des Mauerbaus. Ich konnte damals die Aufregung der Erwachsenen, die<\/p>\n","protected":false},"author":6,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[28],"tags":[],"yoast_head":"\n