{"id":45,"date":"2009-12-30T12:37:39","date_gmt":"2009-12-30T11:37:39","guid":{"rendered":"http:\/\/buergerliste-schierling.de\/3\/2009\/12\/30\/interview-in-der-taz\/"},"modified":"2019-07-24T01:10:17","modified_gmt":"2019-07-23T23:10:17","slug":"interview-in-der-taz","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/buergerliste-schierling.de\/2009\/12\/30\/interview-in-der-taz\/","title":{"rendered":"Interview in der TAZ"},"content":{"rendered":"

Bayern und Baden-W\u00fcrttemberg sind die selbsterkl\u00e4rten Klassenbesten in Deutschland. Nirgends ist das Leben so lebenswert wie in S\u00fcddeutschland. Das Paradies hat einen Namen: Bayern! (aus badischer Sicht nat\u00fcrlich: Baden-W\u00fcrttemberg!). Selbst ehemalige Lichtgestalten und nun unliebsam gewordene Ministerpr\u00e4sidenten werden gemeinsam in Br\u00fcssel entsorgt. In der PISA-Studie ist Bayern immer das beste Bundesland (gewesen). W\u00e4re da nicht Sachsen. Bayern und BWB bilden die Felsen in den anbrandenden Erneuerungen der Schulsysteme. Was f\u00fcr den Rest der Welt gut genug ist, taugt nichts f\u00fcr Bayern. Manchmal hat man\/frau das Gef\u00fchl die Konfessionsschulen mit der Geschlechtertrennung werden wieder eingef\u00fchrt. In jeder neuen Legislaturperiode kommt eine vermeintliche neue Reform, was nichts anderes ist als alter Wein in neuen Schl\u00e4uchen. Diesmal hei\u00dft die Luftblase „Die Bayerische Mittelschule“. Davon demn\u00e4chst an anderer Stelle mehr.<\/p>\n

Ich m\u00f6chte euch folgendes Interview nicht vorenthalten, um den Eindruck zu entkr\u00e4ften, nur in Bayern g\u00e4be es merkw\u00fcrdige Kaberettisten: \u00a0 <\/p>\n

\u00a0 Im Original hier in der TAZ <\/a>zu lesen.<\/span><\/p>\n

\u00a0 Interview Kultusminister Helmut Rau<\/span><\/strong><\/p>\n

„Die UN kann uns nichts vorschreiben“<\/span><\/strong><\/p>\n

Nicht jeder taugt f\u00fcrs Abitur, sagt Baden-W\u00fcrttembergs Kultusminister Helmut Rau. Er ist dagegen, Sonder- und Hauptschulen aufzul\u00f6sen.<\/span><\/p>\n

In Baden-W\u00fcrttemberg wird schon in jungen Jahren entschieden, ob ein Sch\u00fcler sp\u00e4ter einmal die Chance bekommt, zum Abitur zugelassen zu werden. \u00a0 <\/span><\/p>\n

taz: Herr Rau, wieso verstellen Sie sich eigentlich? <\/span><\/strong><\/p>\n

Helmut Rau:<\/span><\/strong> Ich glaube, es gibt keinen Authentischeren als mich. <\/span><\/p>\n

Sie sind intelligent, schlagfertig – aber als Kultusminister verteidigen Sie ein Konzept von Schule, das 150 Jahre alt ist. <\/span><\/strong><\/p>\n

Wir haben in Baden-W\u00fcrttemberg eine sehr gute zeitgem\u00e4\u00dfe Entwicklung des Schulwesens, die hohe Durchl\u00e4ssigkeit und Anschlussf\u00e4higkeit gew\u00e4hrleistet und Schulen viel Raum f\u00fcr eigenst\u00e4ndige Schulentwicklung l\u00e4sst. <\/span><\/p>\n

Helmut Rau<\/span><\/strong>, 59, z\u00e4hlt zu den h\u00e4rtesten Bef\u00fcrwortern einer gegliederten Schule – und zu den witzigsten. „Der K\u00e4mpfertyp mit dem Schnauzbart kann kr\u00e4ftig austeilen“, schrieb die Schw\u00e4bische Zeitung \u00fcber den Pr\u00e4sidenten des Bundes Deutscher Blasmusikverb\u00e4nde, der auch gerne Waschbrett spielt. Rau engagierte sich fr\u00fch f\u00fcr verfolgte Schriftsteller in der DDR, so zum Beispiel f\u00fcr Erich Loest. Rau ist verheiratet und hat zwei S\u00f6hne. \u00a0\u00a0 <\/span><\/p>\n

\u00a0<\/p>\n

Handwerkskammertag, Hauptschulrektoren und viele B\u00fcrgermeister sind da ganz anderer Meinung. Die sagen: Die dreigliedrige Schule ist nicht mehr zeitgem\u00e4\u00df. <\/span><\/strong><\/p>\n

Ich laufe nicht irgendeiner Kritik nach, sondern habe gute Argumente f\u00fcr ein Konzept, das bei der Durchl\u00e4ssigkeit besonders erfolgreich ist. 50 Prozent eines Jahrgangs in unseren Schulen erlangen die Studienberechtigung. <\/span><\/p>\n

Aber Sie haben in den Hauptschulen 40 Prozent Risikosch\u00fcler. Finden Sie es akzeptabel, dass vier von zehn Hauptsch\u00fclern auf dem Niveau von Grundsch\u00fclern lesen? <\/span><\/strong><\/p>\n

Das ist sicher eine besondere Herausforderung. Wir helfen den Risikosch\u00fclern aber nicht, indem wir einfach eine Schulart abschaffen. <\/span><\/p>\n

Das stimmt nicht. Schauen Sie sich in anderen Bundesl\u00e4ndern um, die fusionierte Haupt- und Realschulen haben. In diesen integrierten Schularten gibt es deutlich weniger Risikosch\u00fcler. <\/span><\/strong><\/p>\n

Wir haben Hauptschulen, die nach wie vor den Anspruch erheben, dass die Sch\u00fclerinnen und Sch\u00fcler weiterf\u00fchrendere Bildungsabschl\u00fcsse erwerben, was sie in der Tat auch tun. 45 Prozent unserer Hauptsch\u00fcler machen eine mittlere Reife. <\/span><\/p>\n

Das hei\u00dft, die sind an der Hauptschule falsch, oder? <\/span><\/strong><\/p>\n

Nein, diese Form der Sortierung nehme ich nicht vor. Ich glaube, dass zu einer bestimmten Zeit im Laufe einer Bildungsbiografie Entscheidungen \u00fcber den n\u00e4chsten Schritt getroffen werden m\u00fcssen. Und keine Station darf eine Sackgasse sein. Nur 50 Prozent der Studienberechtigungen werden an allgemeinbildenden Gymnasien erworben, die andere H\u00e4lfte gelangt auf anderen Wegen dazu. <\/span><\/p>\n

Spr\u00e4che das nicht daf\u00fcr, die Sch\u00fcler l\u00e4nger gemeinsam zu f\u00f6rdern, als sie nach der vierten Klasse erst einmal Umwege nehmen zu lassen? <\/span><\/strong><\/p>\n

Die Frage, ob jemand nach der vierten oder sechsten Klasse auf eine weiterf\u00fchrende Schule geht, f\u00fchrt in die Irre. Mit zw\u00f6lf Jahren, wenn die Kinder am Anfang der Pubert\u00e4t stehen, ist das ein denkbar schlechter Zeitpunkt f\u00fcr eine Umstellung. Die Perspektive f\u00fcr das l\u00e4ngere gemeinsame Lernen sehe ich in unseren Bildungsh\u00e4usern f\u00fcr Drei- bis Zehnj\u00e4hrige. <\/span><\/p>\n

Nehmen wir einmal an, ich bin ein 12-j\u00e4hriger Sch\u00fcler in Ihrem Schulsystem. Erkl\u00e4ren Sie mir, warum ich mit meinen Freunden zusammen Fu\u00dfball spielen darf, aber nicht lernen. <\/span><\/strong><\/p>\n

Das Fu\u00dfballspiel ist Freizeit und Vergn\u00fcgen, da geht es nicht darum, dass du bestimmte Lebenschancen verwirklichst. In der Schule geht es darum, dich nach allen Kr\u00e4ften zu unterst\u00fczten, damit du sp\u00e4ter ein selbstbestimmtes Leben f\u00fchren kannst. Und die Wege, die wir anbieten, sind offen und vielf\u00e4ltig. <\/span><\/p>\n

Mit einem reduzierten Stundenplan in der Hauptschule. <\/span><\/strong><\/p>\n

Wir haben keine reduzierten Stundenpl\u00e4ne, sondern an den Hauptschulen sogar zehn Poolstunden f\u00fcr jeden Zug eingesetzt. Das haben die anderen Schularten gar nicht. <\/span><\/p>\n

Trotzdem laufen Sch\u00fcler und Eltern in Scharen Ihrer Superschule davon. <\/span><\/strong><\/p>\n

Die Eltern wollen eine Schule, die auf direktem Weg zur mittleren Reife f\u00fchrt. Deshalb entwickeln wir die Hauptschule zur Werkrealschule weiter. <\/span><\/p>\n

Wozu braucht der Technologie-Riese Baden-W\u00fcrttemberg eine Schulform, die praktische F\u00e4higkeiten st\u00e4rkt? <\/span><\/strong><\/p>\n

Es ist wichtig, beides zu st\u00e4rken. Wir haben F\u00f6rderkonzepte, die Deutsch- und Mathekenntnisse ausbauen und die Ausbildungsreife der Jugendlichen st\u00e4rken, indem wir m\u00f6glichst viele Elemente beruflicher Qualifaktion anbieten. <\/span><\/p>\n

Die meisten Berufe erfordern aber eine h\u00f6here Qualifikation. <\/span><\/strong><\/p>\n

Nicht alle Sch\u00fcler sind in der Lage, die mittlere Reife oder das Abitur zu machen. Jeder Abschluss hat aber seinen Wert. <\/span><\/p>\n

Es gibt viele Eltern, die wollen mehr integrative Schulen, die m\u00f6glicherweise direkt zum Abitur f\u00fchren. Es gibt auch B\u00fcrgermeister, die integrative Schulen einrichten wollen. Ihr Ministerium aber genehmigt nicht. Warum?<\/span><\/strong> <\/span><\/p>\n

Es kann nicht jeder sein eigenes Schulsystem erfinden. Ich w\u00fcrde damit den Wert des bestehenden Systems aush\u00f6hlen. <\/span><\/p>\n

Sie haben Angst, dass integrative Schulen erfolgreich sein k\u00f6nnte. <\/span><\/strong><\/p>\n

Nein, ich habe keine Angst davor, aber ich k\u00f6nnte keine \u00dcberg\u00e4nge gew\u00e4hrleisten und keine Anschl\u00fcsse. Ich fand es sehr aufschlussreich, dass f\u00fcr unser ausgeschriebenes Modell zur Kooperation zwischen Haupt- und Realschulen sehr wenige Antr\u00e4ge eingegangen sind. Bei uns macht die Gemeinschaftsschule keinen Sinn, weil das differenzierte Schulwesen gro\u00dfen R\u00fcckhalt in der Bev\u00f6lkerung hat und sehr gute Ergebnisse bringt. Deshalb bin ich nicht in der Not, parallel ein Einheitsschulsystem aufzubauen. <\/span><\/p>\n

Sie schlie\u00dfen lieber Schulstandorte und fahren die Sch\u00fcler mit Bussen kilometerweit durch die Gegend. <\/span><\/strong><\/p>\n

Wir l\u00f6sen die erfolgreichen Bildungskonzepte nicht auf, damit man in den D\u00f6rfern m\u00f6glichst kleine, schnuckelige Schulen bewahrt. Im Gegenteil. Wir haben unser System weiterentwickelt und mit der Werkrealschule eine moderne Schulart geschaffen, die zukunftsf\u00e4hig ist. <\/span><\/p>\n

Warum gehen in den Kommunen so viele Schulen ein? <\/span><\/strong><\/p>\n

Weil die Sch\u00fclerzahlen zur\u00fcckgehen, gerade auf dem Land. <\/span><\/p>\n

\u00dcber die H\u00e4lfte der 1.200 Hauptschulen sind einz\u00fcgig. Werden die geschlossen? <\/span><\/strong><\/p>\n

Da wage ich keine Prognose. Aber es ist klar, dass es in diesem Prozess des Umbruchs zur Schlie\u00dfung von Schulstandorten kommen wird. Wir k\u00f6nnen nicht mehr in jeder Kommune eine weiterf\u00fchrende Schule haben. Das ist heute schon nicht so. <\/span><\/p>\n

In Emmendingen gelingt es einer Waldorfschule, Behinderte in den Unterricht zu integrieren. Ihre Verwaltung hat versucht, ihr den Integrationsstatus wegzunehmen. Warum? <\/span><\/strong><\/p>\n

Das war ein Schulversuch. F\u00fcr diese Schule sind au\u00dferordentliche Rahmenbedingungen geschaffen worden. Die Schule darf selbstverst\u00e4ndlich weiterhin behinderte Kinder aufnehmen, aber zu ge\u00e4nderten Bedingungen. Die Schule hat von den Modellbedingungen sehr profitiert. <\/span><\/p>\n

Ist doch klar, dass es mehr Geld kostet, behinderte Kinder in den Unterricht zu integrieren? <\/span><\/strong><\/p>\n

Wir haben eine exzellente sonderp\u00e4dagogische F\u00f6rderung, die materiell unglaublich stark ausgestattet ist. Jetzt kommt es darauf an, diese sonderp\u00e4dagogische F\u00f6rderkompetenz an allgemeine Schulen zu transferieren. <\/span><\/p>\n

Sie haben aus dem Fall gelernt und die Sonderschulpflicht aufgehoben. Was hei\u00dft das konkret? <\/span><\/strong><\/p>\n

In Baden-W\u00fcrttemberg werden mittlerweile 29 Prozent der behinderten Kinder an allgemeinen Schulen unterrichtet. Diese Quote wollen wir weiter ausbauen. Daran arbeitet ein Expertenrat, den ich neu berufen habe. <\/span><\/p>\n

K\u00f6nnte ich also mein Kind in die Schule meiner Wahl schicken, wenn es behindert ist? <\/span><\/strong><\/p>\n

Nein. Ein runder Tisch, an dem Lehrer, Experten und Sie selbst als Eltern sitzen, erarbeitet Empfehlungen. Die Eltern haben dann das Entscheidungsrecht. <\/span><\/p>\n

Sie sind sich im Klaren, dass das ein Versto\u00df gegen die W\u00fcrde des Menschen ist. <\/span><\/strong><\/p>\n

Warum? <\/span><\/p>\n

Es gibt ein Recht auf Bildung in der UN-Konvention – die auch Sie unterzeichnet haben. <\/span><\/strong><\/p>\n

Das allgemeine Recht auf Bildung wird dadurch erf\u00fcllt, dass ich Kindern die bestm\u00f6gliche F\u00f6rderung erm\u00f6gliche. <\/span><\/p>\n

Die UN-Konvention sieht aber vor, dass jedes Kind das Recht auf eine allgemeinbildende Schule hat – und keine Schule zugewiesen bekommt. <\/span><\/strong><\/p>\n

Die UN kann uns keine Vorschriften \u00fcber die Umsetzung der Grunds\u00e4tze machen. Daf\u00fcr sind wir verantwortlich. <\/span><\/p>\n

Warum bevormunden Sie andere Menschen, indem Sie deren Kinder ohne Einverst\u00e4ndnis fremdbegutachten lassen – und in Sonderschulen stecken? <\/span><\/strong><\/p>\n

Warum nennen Sie Unterst\u00fctzung und Entscheidungshilfen Bevormundung? Sie sind auf dem Holzweg. Sie als Elternteil k\u00f6nnen entscheiden, wir geben Lernortempfehlungen. <\/span><\/p>\n

Nein, Sie sollen ein inklusives Schulsystem schaffen! <\/span><\/strong><\/p>\n

Es ist ein inklusives Schulsystem. <\/span><\/p>\n

Sie m\u00fcssen also nicht die Rahmenbedingungen an allen Regelschulen so \u00e4ndern, dass Inklusion \u00fcberall m\u00f6glich ist? <\/span><\/strong><\/p>\n

Mein Ziel ist, dass jedes behinderte Kind eine m\u00f6glichst gute schulische Laufbahn durchmachen kann und wir in allen Bereichen die M\u00f6glichkeit haben, bestimmte Lernorte in allgemeinen Schulen und sonderp\u00e4dagogischen F\u00f6rderzentren anzubieten. <\/span><\/p>\n

Bis 2015 will die Bundesregierung 10 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt in Bildung und Forschung investieren. Ist das zu schaffen? <\/span><\/strong><\/p>\n

Um den Anteil der Bildungsausgaben zu steigern, m\u00fcssen sich Bund, L\u00e4nder und Gemeinden gemeinsam anstrengen. Wir haben in Baden-W\u00fcrttemberg eine Steigerung der Bildungsausgaben um 530 Millionen Euro. Das ist nicht schlecht. <\/span><\/p>\n

Bedauern Sie, dass es Bund und L\u00e4ndern verboten ist, im Schulbereich zusammenzuarbeiten? <\/span><\/strong><\/p>\n

Ich wei\u00df nicht, was das Kooperationsverbot soll. Ich habe kein Problem damit zu kooperieren. Ein Kultusminister muss jedes Geld nehmen, das er kriegen kann.<\/span><\/p>\n

INTERVIEW: ANNA <\/span>\u00a0<\/p>\n

\u00a0<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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Nirgends ist das Leben so lebenswert wie in S\u00fcddeutschland. Das Paradies hat einen Namen: Bayern! (aus badischer Sicht nat\u00fcrlich: Baden-W\u00fcrttemberg!). Selbst ehemalige Lichtgestalten und nun unliebsam gewordene Ministerpr\u00e4sidenten werden gemeinsam in Br\u00fcssel entsorgt. In der PISA-Studie ist Bayern immer das beste Bundesland (gewesen). W\u00e4re da nicht Sachsen. 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